by S Alexander Alich, Übersetzung von Leonie Werner
Schon als ich jung war, habe ich an Ritualen meiner Gemeinschaft teilgenommen, und durch die Augen eines Kindes gesehen kam mir damals alles magisch und geheimnisvoll vor. Wir haben uns an einem Platz versammelt, der außerhalb des normalen Alltagsgeschehens lag, und haben in einer speziellen Sprache gesprochen, mit der wir eine Welt würdigten, die viel größer ist als die uns sonst vertraute. Als ich älter wurde, begann ich langsam, die spezielle „Symbolik” der Sprache der Rituale und Zeremonien zu verstehen, und erkannte, wie wichtig nicht nur die Sprache war, sondern auch das Wissen darum, wo wir als Menschen in dieser offenbar so viel größeren Welt unseren Platz haben.
Unter den Ureinwohnern Nordamerikas ist es so ziemlich das Schlimmste, was man zu einer anderen Person sagen kann, wenn man findet, er oder sie „verhalte sich, als hätte er/sie keine Verwandten”. Gehen wir mit der Einstellung durch das Leben, als hätten wir „keine Verwandten”, nehmen wir also nicht wahr, daß wir in Beziehung stehen zu dem, was uns umgibt, dann schließen wir uns selbst in einer sehr kleinen Welt ein. Dann kann es uns so vorkommen, als hätte unser Tun keine Auswirkungen auf irgend jemanden oder irgend etwas um uns herum. Wir können dann leicht den Schaden, den wir der Erde, den Pflanzen, den Tieren und anderen Menschen zufügen, übersehen, weil wir uns selbst nicht als Teil von etwas Größerem wahrnehmen. Mit dem Verlust der Bedeutung der Rituale und Zeremonien in der westlichen Kultur entsteht wahrscheinlich ein Schaden, der größer ist, als wir es im Augenblick erkennen können. Ich konnte im Laufe der Jahre beobachten, welch negativen Effekt das Fehlen von Zeremonien und Ritualen auf unsere physische, mentale und spirituelle Gesundheit hat.
Als ich anfing zu unterrichten, führte ich meine Schüler durch viele Zeremonien und Rituale. Für viele von ihnen war das wirklich eine Herausforderung, ganz besonders dann, wenn sie einige Jahre in Universitäts- oder anderen Schulsystemen studiert hatten, in denen die Welt hauptsächlich durch Lesen und Denken erfahren wurde. Obwohl die Zeremonien ihre Perspektive erweiterten und die Begrenzungen des Verstandes herausforderten, stellten sie mir immer zwei Fragen: „Warum arbeiten wir in Zeremonien oder Ritualen?” und „Können wir nicht einfach dadurch lernen, daß wir über die Information sprechen?” Die Antworten darauf sind natürlich je nach Anlaß verschieden. Wir lernen zwar durch unseren Verstand, indem wir eine bestimmte Menge an Informationen aufnehmen und diese verarbeiten. Aber es gibt einen Punkt, ab dem unser Verstand nicht länger das beste Hilfsmittel ist. Kurz gesagt – es gibt Ebenen, zu denen unser Verstand nicht vordringen kann; es gibt Dinge, die wir nicht in Worten ausdrücken und die wir uns nicht einmal vorstellen können. Aber zum Glück können wir sie erleben. Hier kann uns nun die spezielle symbolische Sprache der Rituale den Zugang zu einer viel größeren Welt ermöglichen und uns helfen, Heilung auf eine Art und Weise zu finden, die weit über unser heutiges Vorstellungsvermögen hinausgeht. Außerdem üben Rituale eine beruhigende Wirkung auf uns aus und können uns helfen, durch Dinge hindurchzugehen, die wir nicht auf der Verstandesebene bearbeiten können.
Bevor wir weitergehen, sollte uns der Unterschied zwischen Ritualen und Zeremonien klar sein. Vereinfacht dargestellt, kann eine Zeremonie für einen ganz speziellen einmaligen Zweck kreiert werden. Sie muß bestimmte Elemente beinhalten, auf die wir gleich noch näher eingehen werden. Rituale mögen sehr ähnlich wie Zeremonien aussehen, aber ihr Ablauf wird immer wieder und wieder über Hunderte oder sogar Tausende von Jahren unverändert wiederholt. Das Ritual sieht oberflächlich betrachtet immer gleich aus, aber der Inhalt verändert sich jedes Mal, wenn es durchgeführt wird. Grundsätzlich gibt es drei Arten von Ritualen und Zeremonien: die für Einzelpersonen, die für die Familie und den „Clan” und die für die Gemeinschaften. Sie haben alle einige Elemente gemeinsam.
Als erstes führen sie uns aus unserem täglichen Leben heraus, indem wir einen „heiligen Platz” schaffen, der abseits unseres Alltagsgeschehens liegt. Zeremonien und Rituale erlauben uns, durch eine mythische Handlung zu gehen und so symbolisch unsere Probleme und Schmerzen oder auch unsere Freude und Dankbarkeit darzustellen. Wenn wir als erstes die symbolische Dimension unserer Situation erkennen, können wir diese dann durch unsere Ideen, Gedanken und unsere Absicht in eine Handlung umsetzen und somit in Bewegung bringen. So kann die rituelle Handlung letztendlich eine symbolische Auflösung unserer Probleme und Lebenssituationen darstellen.
Das Erlernen der Sprache von Ritual und Heilung verlangt eine neue Sicht von uns selbst und von der Welt, in der wir leben. Wir müssen hier wieder in Symbolen denken und uns überlegen, was wir mit unseren Handlungen im Alltag aussagen. Unser Körper spricht in Symbolen zu uns; ein gutes Beispiel dafür ist der Schmerz. Schmerz hat meist eine Bedeutung, denn oft ist er der einzige Weg für einen Teil unseres Körpers, mit uns Kontakt aufzunehmen. Wenn wir lernen, symbolisch zu denken, können wir darüber mit diesem Teil von uns Verbindung aufnehmen. Wir können dann eine einfache Zeremonie oder Handlung aufbauen, die den Anstoß zu unserer Heilung gibt. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß Heilung sich nicht nur auf den physischen Körper bezieht. Zeremonien sprechen zu unserem Geist und der Seele; sie geben uns die Möglichkeit, uns auf eine Art und Weise auszudrücken, zu der wir sonst nicht fähig sind. Sie helfen uns dabei, uns wieder mit der Natur und dem Kosmos zu verbinden und unseren Platz in der Welt wiederzufinden.
Ich möchte an dieser Stelle drei einfache Rituale vorstellen, die helfen können, symbolisch zu denken und zu arbeiten.
1. Die Sonne begrüßen und Dankbarkeit ausdrücken.
Dieses Morgenritual kommt von den Navajos, und ich habe für die Menschen im Westen noch einen Teil am Ende des Rituals hinzugefügt. Wenn du morgens aufwachst, wende dich nach Osten (es ist schön, wenn du das draußen tun kannst, aber es ist keine Bedingung) und streue eine Prise Maismehl oder Maispollen in Richtung Sonne. Jetzt kannst du deine Gebete für den Tag sprechen und um die Hilfe bitten, die du vielleicht brauchst – besonders dann, wenn du einen Tag mit vielen Herausforderungen vor dir hast. Vielleicht möchtest du auch einige Momente lang Gebete der Dankbarkeit sprechen für alles, was du hast und für alles, was in deinem Leben gut läuft. Dieses Ritual erinnert uns nicht nur daran, daß wir Teil einer größeren Welt sind. Es hilft uns auch dabei, uns am Anfang des Tages an all das zu erinnern, was wir bereits haben. So beginnen wir den Tag nicht mit einer Aufzählung all dessen, was uns noch fehlt und was wir noch erreichen wollen.
2. Einen Sacred Space – einen heiligen Platz – zu Hause schaffen:
Der beste Weg, um die Bedeutung des Sacred Space zu verstehen, ist, sich einen zu schaffen und mit ihm zu arbeiten. Wenn du kannst, dann richte dir einen Platz abseits des tagtäglichen Geschehens ein. Einen Bereich, in dem du meditieren, dein Tagebuch schreiben, träumen und mit deinen Werkzeugen arbeiten kannst. Das muß kein sehr großer Bereich, kein ganzes Zimmer sein. Du kannst auch einfach in dem Zimmer, in dem du schläfst, eine Decke oder einen kleinen Teppich auf den Boden legen und diesen somit zu dem Bereich machen, in dem du arbeitest. Für Menschen, die nur sehr wenig Platz haben, gibt es auch die Möglichkeit, eine „Mesa” als Sacred Space einzurichten. Dies ist ein spezieller Platz, an dem du all deine Werkzeuge, Traum-Tagebücher und andere Dinge, die für dich und deine eigene Heilung spezielle Bedeutung und Symbolik haben, aufbewahren kannst.
3. Ein Tabakbündel zusammenstellen und es dem Feuer übergeben:
Es kann sehr hilfreich für uns sein, symbolisch den Abschluß einer Situation darzustellen und Übergangsphasen in unserem Leben zu würdigen. Du kannst dies ganz einfach tun, indem du eine Prise Tabak in ein kleines Stück roten Stoff einwickelst und daraus ein kleines Bündel machst. In dieses Bündel kannst du nun deine Gebete hineingeben, die Dinge, die du jetzt gehen lassen möchtest oder auch die Dinge, deren Abschluß du nun anerkennen und ehren willst und die du aus deinem Leben verabschieden möchtest. Du kannst das Bündel dann den Elementen übergeben. Wir übergeben es gerne dem Feuer mit der Bitte, daß der aufsteigende Rauch die Gebete zu Great Spirit tragen möge.