by S Alexander Alich, übersetzt von Leonie Werner
Es war für mich immer ein Rätsel, warum manche Menschen von einer Krankheit geheilt werden und andere nicht. Selbst bei der gleichen Krankheit stellt sich bei einem Menschen eine Besserung ein, während sich der Zustand des anderen durch immer weitere Komplikationen verschlechtert. Ich habe mich oft gefragt, ob der Unterschied in der Krankheit oder in der Person zu suchen ist. Nach vierzehn Jahren Praxis erkenne ich jetzt langsam, wie man zu seiner eigenen Heilung beiträgt. Ich möchte Ihnen gern weitergeben, was mich meine Klienten gelehrt haben, und dafür die zehn Fragen vorstellen, die mir am häufigsten gestellt werden.
1. Wie kann ich meinen Heilungsprozeß beginnen?
Der wichtigste Schritt dafür ist, im Leben einen Platz für die Heilung und natürlich für die damit verbundenen Veränderungen und Herausforderungen zu schaffen. Ich habe selten Heilungen erlebt, bei denen nicht jeder Aspekt des Lebens berührt wurde. Ich möchte die folgenden Fragen als Ausgangspunkt für eine Überprüfung vorschlagen, bei der man herausfinden kann, wo man im Moment im Leben steht und was einem „fehlen” könnte. Man sollte sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken, denn auch wenn die Antwort auf die Fragen manchmal sehr offensichtlich erscheint, ermutige ich meine Klienten immer, ihre Gedanken und Gefühle in bezug auf diese Fragen ganz genau anzuschauen.
- Will ich gesund werden?
- Welchen Vorteil, falls es einen gibt, habe ich davon, nicht gesund zu werden?
- Was müßte ich aufgeben oder weggeben, um gesund zu werden?
- Welche Hilfe brauche ich, um mein Ziel erreichen zu können?
2. Gibt es einen Unterschied zwischen den Klienten, bei denen eine Besserung eintrat und denen, die krank blieben?
Mir ist aufgefallen, daß die Klienten sich durch das Maß ihrer Eigenverantwortung und ihrer Einsatzbereitschaft für die Heilung unterscheiden. Als Therapeutin sehe ich dadurch meist gleich, mit wem ich arbeiten kann und mit wem nicht. Wenn der Klient sich für seine eigene Heilung einsetzt und Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt, hat er einen sehr wichtigen Schritt gemacht. Jetzt können Änderungen eintreten und das, was unter der Krankheit liegt, kann an die Oberfläche kommen. Auch sein Verhältnis zu den Therapeuten, mit denen er später arbeiten wird, wird ein anderes sein, weil er seinen eigenen Heilungsprozeß schon in Bewegung gesetzt hat. Kurz gesagt, er hat damit jedem Therapeuten erlaubt, zu einem Teil in seinem Heilungsprozeß zu werden, und erwartet nicht mehr, daß irgendein Therapeut oder eine Technik alle seine Probleme lösen kann.
3. Wie kann ich meine Heilung am besten vorbereiten?
Ich ermutige alle, nicht nur zu fühlen, welchem Teil ihres Körpers es nicht so gut geht, sondern sich ehrlich und vorbehaltlos anzuschauen, was zur Zeit in jedem Bereich ihres Lebens geschieht.
4. Wie betrachten Sie Krankheit in Ihrer Arbeit?
Sowohl im Schamanismus als auch in der Medizin der Ureinwohner Amerikas gehen wir davon aus, daß eine Person fünf Ebenen oder Körper hat. Eine Krankheit erscheint zuerst auf der Ebene des menschlichen „Spirits”. Wenn sie unbeachtet bleibt, geht sie weiter zur Ebene des Verstandes, dann zur Ebene der Gefühle und zum Schluß in den physischen Körper. So kann eine Krankheit als eine Unausgewogenheit gesehen werden, die zuerst mit dem Spirit kommuniziert – manchmal hören wir ihr zu und können Änderungen in unserem Leben vornehmen, manchmal hören wir nicht hin und die Unausgewogenheit bewegt sich weiter in die Tiefe, bis sie schließlich den physischen Körper erreicht. Zur Heilung dieser Krankheit muß man auf dem gleichen Weg zurückgehen, den sie gekommen ist. Man arbeitet also mit dem physischen Körper, dann mit dem Herz, mit dem Verstand und am Ende mit dem Spirit.
5. Was können der Schamanismus und die Medizin der amerikanischen Ureinwohner tun, und wann sollte ich Hilfe bei ihnen suchen?
Beide sind in sich vollständige Systeme für die Arbeit mit Krankheiten auf den fünf Ebenen oder Körpern. Ich bin davon überzeugt, daß beide der westlichen Kultur einen Bereich anbieten, der im Westen fehlt – nämlich die Arbeit mit dem menschlichen Spirit. In verschiedenen westlichen Therapien gibt es viele gute Konzepte für die Arbeit mit dem Verstand, den Gefühlen und dem physischen Körper, doch die Arbeit mit dem Spirit muß noch definiert und praktiziert werden. Die Klienten, die zu mir kommen, haben meist schon mit ihrem Verstand, ihren Gefühlen und ihrem Körper gearbeitet, aber vollständig gesund sind sie noch nicht – oft finden sie nach der Arbeit mit ihrem Spirit das, was zu ihrer vollständigen Heilung noch gefehlt hat. Auf der anderen Seite ist es mir wichtig anzusprechen, daß man sehr leicht denken kann, „Ich habe ein Problem und ich will es nur auf dem spirituellen Weg angehen”. Doch das kann auch nicht zur vollständigen Heilung führen, weil es, genau wie bei der einseitigen Konzentration auf den Körper oder den Verstand, nicht das ganze System berücksichtigt. Ich glaube, der beste Zeitpunkt für eine spirituelle Heilung ist dann, wenn man eine klare Vorstellung von dem hat, was überall in seinem Leben geschieht, und wenn man in der Lage ist, sich für seine Heilung einzusetzen.
6. Wie lange kann es dauern, gesund zu werden?
Es ist wichtig, sich immer bewußt zu sein, daß Heilung eine Reise ist. Auch wenn dieser Satz schon etwas abgedroschen klingt, lege ich ihn meinen Klienten doch ans Herz, denn wenn man ein Problem hat, will man das als erstes so schnell wie möglich loswerden. Dadurch können sich die Probleme allerdings vermehren, anstatt abzunehmen. Heilung ist eine Reise, auf der man nicht nur seine Symptome verliert, sondern auch sein eigenes Wesen oder seine Essenz kennenlernt; eine Reise, auf der man das entfaltet, was meine Lehrer „Seele” oder Begabungen nannten. Aus einer breiteren Perspektive gesehen können Symptome also kommen und gehen, doch die wirkliche Arbeit zur Heilung und Balance in unserem Lebens ist etwas, das jeden Tag unseres Lebens berühren kann.
7. Vergiß den Spirit nicht!
Dieser Teil wurde in dem meisten medizinischen Lehrbüchern ausgelassen und ich glaube, daß genau der Spirit für uns die größte Hilfe darstellt. Wenn man sich jeden Tag, also nicht nur wenn man krank ist, an seinen Spirit erinnert, kann das hilfreicher sein als alles andere, was ich je kennengelernt habe.
8. Ist es nicht besser, sein eigener „Heiler” zu werden?
In meiner Praxis treffe ich häufiger auf diese Einstellung als mir lieb ist. So kann ein Klient vor mir sitzen, bei dem eine chronische Krankheit diagnostiziert wurde und der den Einsatz für seine Heilung und seine Selbstverantwortlichkeit so versteht, daß er über Nacht sein eigener Heiler werden soll. Selbst die besten Therapeuten behandeln sich nicht selbst, sondern begeben sich in Behandlung bei anderen, die ihre Situation besser sehen können als sie selbst. Es ist immer gut, sich sachkundig zu machen; je mehr man lernen kann um so besser, doch man sollte dies immer durch die Arbeit mit einem Therapeuten, der über langjährige Erfahrung verfügt, ergänzen. Selbst an unseren besten Tagen kann es schwierig sein, unsere blinden Flecken aufzuspüren, und in einer stressigen Situation kann es nahezu unmöglich werden.
9. Welche Qualitäten können zur unserer erfolgreichen Heilung beitragen?
Wenn ich mich auf einige beschränken muß, dann wären die folgenden am wichtigsten für mich: offene Kommunikation, Eigenverantwortung, Ehrlichkeit, Fokus, Einsatzbereitschaft, klare Absicht, Motivation und natürlich, nicht den Humor zu verlieren.
10. Woran kann ich einen guten Therapeuten erkennen?
Am wichtigsten dabei ist, daß man seiner Intuition folgt. Sagt ein Therapeut, er könne alle Probleme mit seiner Technik heilen, dann sollte man besser weitersuchen. Das beste, was ein Therapeut geben kann, ist ein weiteres Teilstück für die Reise zur Heilung – man kann von ihm nicht erwarten, daß er alle Teilstücke zur Verfügung stellt. Wenn man diese Erwartung hegt, wird man für den Rest des Lebens nach dem perfekten Therapeuten oder der perfekten Heilungstechnik suchen.