by S Alexander Alich, Übersetzt von Leonie Werner

“Wie kann ich meine spirituelle Arbeit in mein tägliches Leben integrieren?” Diese Frage wird mir sehr oft von Schülern und Schülerinnen gestellt, die am Anfang ihres spirituellen Weges stehen. Zu Beginn kann es leicht so aussehen, als sei der Alltag getrennt von der spirituellen Arbeit, den Übungen und den Trainings. In einem gewissen Sinn stimmt das auch, und da die meisten meiner Schüler aus einer Kultur kommen, die ihnen keine klare Vorstellung von ihrer spirituellen Basis mitgibt, kann es selbst den fortgeschrittensten unter ihnen nahezu unmöglich erscheinen, ihre Erfahrungen in ihren Alltag zu integrieren. Es kann viel Zeit in Anspruch nehmen, bis sich geklärt hat, was welchen Platz hat in dem neuen Leben, das sich langsam formt, und in diesem Prozeß müssen Zweifel, Fehler und Fallen überwunden werden.

Ich möchte zuerst über zwei Fallen schreiben, die gleich zu Beginn auftreten.

Erste Falle: Ich trenne die spirituellen Erfahrungen vom Alltag und lebe zwei Leben.

Wenn du am Anfang deiner Ausbildung stehst, kann es dir vorkommen, als lebtest du zwei Leben. Auf der einen Seite den Arbeitsalltag von Montag bis Freitag und dann am Wochenende das spirituelle Leben im Rahmen deiner Trainings. Dort gelten dann jeweils unterschiedliche Regeln, du hast verschiedene Freunde und unterschiedliche Erwartungen. Eine Zeit lang mag diese Übergangslösung funktionieren, nämlich solange du neue Wege ausprobierst und dich noch nicht ganz auf sie einlassen willst. Doch, wenn du zu lang in diesem Zustand bleibst, kann er zu einer Falle werden, aus der du nur schwer herausfindest. Du sammelst dann im Laufe der Zeit einen Berg an Informationen, Techniken und Übungen an, die nicht zu einem Teil von dir werden. Es kann dir leicht passieren, daß du diesen Berg als etwas außerhalb von dir siehst und denkst “Eines Tages werde ich etwas damit anfangen.” Gehst du immer weiter so durchs Leben, kann es im ungünstigsten Fall so ausgehen, daß du eine Entscheidung treffen und eines von beiden aufgeben mußt.

Zweite Falle: Ich werfe alles in einen Topf und sortiere das aus, was nicht paßt.

Integration bedeutet nicht, dein spirituelles und dein alltägliches Leben einfach zu vermischen. In unserem Alltag gibt es eine Zeit und einen Platz für unsere spirituellen Übungen und dann die Zeit, in der du Auto oder U-Bahn fährst. An Anfang willst du dich meist zwingen, deine spirituellen Übungen mitten im Arbeitsalltag zu machen. Doch das kann genauso wenig gelingen wie der Versuch, Büroarbeit während einer Zeremonie zu erledigen.. Hier ist dein Unterscheidungsvermögen gefragt. Es ist sicher nicht einfach, aber du wirst lernen, was wo seinen Platz in deinem Leben und in deinem Tagesablauf hat.

Vergiß bitte nicht, daß der Fortschritt auch im spirituellen Leben Zeit braucht. Laß dich nicht von deinem Enthusiasmus für eine neue Übung oder Technik überwältigen zwinge sie deiner Umgebung möglichst nicht auf. Freunde, die deine spirituelle Sicht teilen, sind genau so wichtig für dich wie die Freunde, die nicht immer einer Meinung mit dir sind und einen anderen Weg gehen. Es kann auch eine Falle sein, wenn du darauf bestehst, daß alle um dich herum deine Sicht der Dinge teilen müssen. Integration heißt nicht, die Welt um dich herum davon zu überzeugen, daß du dich verändert hast. Wenn du das Gelernte integriert hast, wirst du nicht einmal mehr darüber nachdenken, es wird zu einem Teil von dir geworden sein.

Wenn also sowohl das Trennen wie auch das miteinander Vermischen jeweils in eine Falle führt, welchen Weg sollst du dann wählen? Integrationsarbeit ist ein sehr langsamer Prozeß, der tägliches Arbeiten und Üben erfordert. Denke daran, daß du auf langfristige Ziele hinarbeitest, auf Veränderungen, die jeden Teil deines Lebens beeinflussen werden. Viele von uns beginnen die spirituelle Arbeit ohne eine vollständige und stabile Basis, und dadurch kann der Integrationsprozeß zu einer Herausforderung für uns werden.

Die folgenden Übungen und Leitsätze gebe ich meinen Schülern zu Beginn unserer Arbeit mit:

Sei dir deines Schwerpunktes und deiner Absicht bewußt. Ein Zen-Sprichwort sagt, daß ohne Schwerpunkt jede Herausforderung zu unserem größten Problem wird, wir mit einem Schwerpunkt aber überhaupt keine Probleme haben. Ich erinnere meine Schüler immer wieder daran, zu ihrem Schwerpunkt und ihrer Absicht zurückzukehren. Frage dich selbst: “Was will ich? Was ist hier der größere Zusammenhang?” Unser Schwerpunkt und unsere Absicht führen uns in die richtige Richtung und helfen uns durch schwierige Zeiten hindurch.

Mache täglich eine Übung für deine Erdung, je praktischer und körperlicher je besser. Ganz gleich ob du spazieren gehst, im Garten oder im Haushalt arbeitest, mit deinen Haustieren spielst oder still in der Natur sitzt – dich täglich zu erden, ist wichtig für die Balance und Integration deiner spirituellen Arbeit.

Kombiniere das mit einer wöchentlichen Reinigungsübung. Oft kann ein Ungleichgewicht zwischen Verstand, Körper und Herz darauf zurückgeführt werden, daß wir an Ereignissen aus der Vergangenheit festhalten und nicht wissen, wie wir diese alten Dinge loslassen können. Je mehr wir spirituell arbeiten, lernen, wachsen und uns verändern, um so weniger passen unsere alten Gewohnheiten im Leben. Wir müssen einen Weg finden, um diese Gewohnheiten und Ereignisse anzuerkennen, sie loszulassen und dann weiterzugehen. Hierzu empfehle ich die Arbeit mit den Elementen. Ein einfacher Vorgang wie aufschreiben, was du loslassen möchtet und es dann der Erde oder dem Feuer zu übergeben, kann deinen Geist und deine Lebensenergie befreien.

Atem – denke daran, bewußt zu atmen. Es kann helfen, wenn du dich nur fünf Minuten am Tag hinsetzt und nichts tust als nur deinen Atem zu beobachten. Achte darauf, daß sich dein Brustkorb und dein Bauch bei jedem Atemzug mit bewegen, aber erzwinge nichts.

Hab keine Angst davor anzuwenden, was du lernst. Probiere verschiedene Methoden aus, finde heraus, welche dir liegen und arbeite eine Zeit lang mit diesen. Es geht überhaupt nicht darum, Dutzende von Übungen zu machen. Laß die Übungen beiseite, die für dich nicht funktionieren, aber probiere sie erst aus. Ich habe oft Schüler Übungen kritisieren hören, die sie noch nie ausgeführt hatten. Stolper möglichst nicht in diese Falle.

Laß dir Zeit. Das ist wahrscheinlich am schwierigsten, aber auch am wichtigsten. Wenn du Schwierigkeiten mit der Integration deines neuen Wissens hast, dann tust du vielleicht zu viel auf einmal. Du weißt, daß dein Verstand sehr schnell weitergehen will und mit seinen Ansprüchen dein Herz und auch deinen Körper schnell überfordern kann. Ich empfehle meinen Schülern, erst dann neue Übungen oder Techniken zu lernen, wenn die, mit denen sie zur Zeit arbeiten, bereits zu einem Teil von ihnen selbst geworden sind.

Erlaube dir und anderen, in der für sie passenden Geschwindigkeit weiterzugehen. Spirituelle Arbeit ist kein Wettbewerb, doch manchmal machen wir und unsere Freunde sie zu einem. Denke daran, daß du auf langfristige Veränderungen hinarbeitest und daß sich jeder in seiner eigenen Geschwindigkeit entwickelt.

Praktiziere deine Übungen weiter, auch wenn die anfänglich damit verbundene Aufregung verflogen ist. Ich wendete mich auch einmal an meine spirituelle Lehrerin gewandt, weil ich dachte, ich hätte ein großes Problem. Ich erzählte ihr, daß alle meine spirituellen Übungen so normal geworden waren und daß sie kaum noch Gedanken oder Mühe erforderten. Sie waren mir nicht etwa langweilig geworden, es ging mehr darum, daß ich nicht mehr über sie nachdenken mußte. Ich dachte damals wirklich, ich würde etwas verkehrt machen! Sie sah mich an, stellte mir ein paar Fragen und sagte dann: “Gut, sie werden jetzt zu einem Teil von dir.”

Integration braucht Zeit, sie wird dir Einsicht und Erfahrung bringen. Erfahrung wiederum erdet unsere Arbeit und das, was du gelernt hast, wird für den Rest deines Lebens ein Teil von dir sein.